Cassidy Toner (1992, Baltimore, USA) bezeichnet sich selbst als besessen von ihrem eigenen Untergang. Wenn es das Ziel ist, zu versagen, und man versagt – hat man dann versagt? Mit solchen und anderen Fragen, die Themen wie Begehren, Existenz und Untergang sowie destruktive Verhaltensmuster betreffen, beschäftigt sich die schweizerisch-amerikanische Künstlerin, in deren Œuvre die Idee das Medium bestimmt. Auf humorvoll-absurde Weise verwebt sie philosophische Sinnfragen mit Anleihen aus Literatur und Popkultur und verarbeitet sie zu Skulpturen, Drucken, Zeichnungen, Gemälden und Fotografien. So basiert ihre Serie «Wile E. Coyote» auf der gleichnamigen Figur aus der Trickfilmreihe «Looney Tunes» und könnte der fröhlichen Kinderserie trotzdem nicht ferner sein. Die Werke tragen Titel wie «Wile E. Coyote Crushed by the Weight of the World» (2018), «Desperately Searches for a Way Out of His Self-Destructive Behavior» (2018) und «Wonders What Keeps Him Going (He just read Camus’ The Myth of Sisyphus)» (2018). Denn: Obschon der nimmersatte Kojote denkt, nichts mehr zu wollen, als den Road Runner zu erlegen, ist es genau die Erfüllung seines sehnlichsten Wunsches, die ihm anstelle des erwarteten Triumphgefühls ein bis zur Selbstzerstörung ausuferndes Gefühl der Leere einbringt.
Mit der Wand im Titel von «A Wall from the Atelier» (2019) ist die vierte Wand im Theater gemeint, die hier als eine Art halb-transparenter Vorhang zwischen Künstler/Atelier und Publikum in Erscheinung tritt; der grossflächige Riss im aufgespannten Tyvek durchbricht diese Grenze und lädt die Betrachtenden in die Welt auf der anderen Seite ein. «Die kinetischen Wandobjekte beziehen sich auf Ad Reinhardts Karikatur ‹How to Look at a Cubist Painting› (1946)», schreibt Philipp Zollinger 2019, «in der die Frage eines Betrachters: ‹Was stellst du dar?› auf das anthropomorphisierte Gemälde trifft, das lautstark antwortet: ‹Was stellen Sie dar?›». Mit der Infragestellung von Kunst als Produkt ästhetischer Prinzipien schafft Cassidy Toner Raum für Dialog und Austausch. Dieses Erlebnis wird Teil der Kunsterfahrung. Aber wenn man diese quadratische Trennwand betrachtet, kommt einem vielleicht auch Theo van Doesburgs berühmter Satz in den Sinn: «… denn nichts ist konkreter, wirklicher als eine Linie, eine Farbe, eine Oberfläche». Was er wohl von Rechtecken mit Rissen gehalten hätte, bleibt unserer Fantasie überlassen.
Ruth C. Kistler