Gottfried Honegger (1917, Zürich, CH – 2016, ebd.) eröffnete 1938 mit seiner späteren Ehefrau Warja Lavater in Zürich ein Atelier für Grafik, Illustration und Fotografie, mit dem er sich rasch als einer der führenden Vertreter des modernen Schweizer Grafikdesigns etablierte. In seiner freien künstlerischen Arbeit entwickelte er nach anfänglich organischen Abstraktionen um 1957 eine konsequent konstruktive Sprache. Von 1958 bis 1960 in New York wohnhaft, fand er Zugang zu den dortigen Avantgardekreisen um Al Held, Sam Francis und Mark Rothko. Diese Begegnungen gaben ihm den Impuls zur Ausarbeitung einer neuartigen Bildsprache, die sich im Themenzyklus des «Tableau-relief» – des ersten von zahlreichen nachfolgenden (u. a. «Biseautage», «Volume», «Structure», «Tableau-Espace») – niederschlug.
Honegger schöpfte sein Themenspektrum in meist umfangreichen, teilweise über Jahre oder Jahrzehnte weiterentwickelten Werkzyklen aus. So hat er das Konzept des «Tableau-relief» unter gleichbleibenden Gestaltungsprinzipien von 1957 bis in die 1980er-Jahre verfolgt. Lasierend bemalte oder mit Grafitstift eingeriebene Kartonplättchen applizierte er so auf den Bildträger, dass sie eine das Licht reflektierende, membranartige Oberflächenstruktur von subtiler Reliefwirkung erzeugen. Ratio und Intuition, Zufall und Kalkül gehen in seinem Schaffen eine Synthese ein, indem sich etwa im Werk «Tableau-relief Z. 940» von 1986 ein strikt rationaler Quadratraster mit einer schwarz schimmernden, malerisch-sensuellen Oberfläche verbindet. Mögen in diesem Werkzyklus Honeggers Intentionen am deutlichsten zum Ausdruck kommen, so zieht sich das Thema der Synthese doch wie ein Leitfaden durch sein gesamtes Œuvre. Es spiegelt sich ebenso im Klang der Farben und im rhythmischen Ensemble der Formen wider – etwa in den vier Serigrafien «Ohne Titel» von 2005 – wie auch im Zusammenspiel zwischen planem Bildgeviert und rundem Einschnitt in «Tableau-relief C. 1411» von 2004.
Er strebe nach einer «Ökologie der Schönheit», erklärte Honegger im Hinblick auf seine (bereits in den 1970er-Jahren einsetzenden) Arbeiten für den öffentlichen Raum. Dieses Credo verband er konsequent mit der Idee, es sei die Aufgabe des Künstlers, zur ästhetischen und ethischen Sensibilisierung der Gesellschaft beizutragen. Er hat sich dieser Aufgabe immer wieder von Neuem gestellt: als Grafikdesigner, Künstler, Publizist, Kunstvermittler und -pädagoge, als Gründungsmitglied der Stiftung für konstruktive und konkrete Kunst Zürich sowie des Espace de l’Art Concret in Mouans-Sartoux in Frankreich und als Kunstsammler. Gemeinsam mit seiner Lebensgefährtin Sybil Albers hat Honegger eine umfassende Sammlung konstruktiver Strömungen zusammengetragen; seit Längerem in Mouans-Sartoux beheimatet, ging diese 2005 als Schenkung an den französischen Staat. Honegger wurde aufgrund seiner Verdienste 1999 als Chevalier de l’Ordre de la Légion d’Honneur mit einer der höchsten kulturellen Auszeichnungen Frankreichs geehrt.
Elisabeth Grossmann