Die Tätigkeit Karl Gerstners (1930, Basel, CH – 2017, ebd.) basiert auf dem programmatischen Interesse an der Durchdringung wissenschaftstheoretischer und gestalterischer Erkenntnisse. Dies zeichnet sich sowohl im Werk selbst als auch in zahlreichen kunsttheoretischen Publikationen ab, u.a. dem Standardwerk «Kalte Kunst? Zum Standort der heutigen Malerei» von 1957. Gerstner war 1959 Mitbegründer der Werbeagentur GGK, deren legendären Ruf er entscheidend mitgeprägt hat. Er ist als einer der innovativsten Werbegrafiker der 1950er–1970er-Jahre anerkannt.
Gerstner setzt sich mit Malerei, Plastik, Objekt, Multiple und Druckgrafik auseinander. Ein Schwerpunkt seit den 1950er-Jahren ist die Entwicklung manuell veränderbarer Werke, die mithin zur aktiven Partizipation an der Gestaltung auffordern, so zum Beispiel «Ohne Titel» (undatiert) und «AlgoRhythmus» (1969–1970). Ein zweiter Schwerpunkt ist die Entwicklung von Auflagenobjekten, mit denen Gerstner eine kostengünstige, quasi demokratische Verbreitung seines Werks avisiert. Gerstner unterteilt sein Schaffen in zwölf «Kapitel», die sich jeweils auf eine zuvor festgesetzte programmatische Ausgangslage der Systemforschung beziehen. So sind die «Aperspektiven» so konzipiert, dass die rechte Seite nahtlos an die linke, die obere an die untere anschliesst, wodurch die Bildstruktur als potenziell endlos zu denken ist («Aperspektive 0», 1952/1953). Weitere von Gerstner visualisierte Systeme sind etwa die Algorithmen in den «AlgoRhythmen», die Permutationen in den «Synchromien» («Synchromie 45», 1992/1993; «Zyklische Permutation II B», 1974; «Synchromie», 2003), die Fraktale in den «Color Fractals» («Color Fractal 4», 1990) oder die islamische Ornamentik in den «Color Lines» («Color Lines», 1957/1977). Wie die Form- geht auch die Farbgebung von wissenschaftlich untermauerten, teilweise eigens entwickelten Farbsystemen aus. Die Farbe bildet denn auch die Ausgangslage der «Metachroms» («Chromophose – Metachrom 4.07»,1974, und «Metachrom 5.07», 1993), der «Color Lines», der «Color Forms» und der «Color Sounds» («Color Sound», 1972; «Color Sound 12 Intro Version», 1968–1973).
Karl Gerstner versteht und bezeichnet sein Werk als «Partizipationskunst», mit der er auf die grösstmögliche Aktivierung der Wahrnehmung zielt. Dies betrifft vornehmlich den Akt des Sehens – wie er etwa im «Linsenbild» (1964) oder im «Prismenbild» (undatiert) auf die Probe gestellt wird –, weitet sich jedoch sogar auf den Geruchssinn aus («Taste Perceptor», 1970). Wissenschaftlich fundiert, ist das Werk von höchster gedanklicher, formaler und technischer Präzision.
Elisabeth Grossmann