Wie die Britin Bridget Riley leistete auch Marina Apollonio (1940, Triest, IT) Pionierarbeit auf dem männlich dominierten Feld der Op-Art. Apollonio war als eine von wenigen weiblichen Kunstschaffenden auf zwei der wegweisenden Zagreber «Nove tendencije»-Ausstellungen in den 1960er-Jahren vertreten und behauptete sich neben Kollegen wie Gianni Colombo, François Morellet oder Otto Piene.
Die Tochter des renommierten italienischen Kunsttheoretikers Umbro Apollonio scheint geradlinig zu ihrem genuinen künstlerischen Ansatz gefunden zu haben. Kurz nach dem Studienabschluss 1960 an der Accademia di Belle Arti in Venedig begann ihre Auseinandersetzung mit der Funktionsweise des Sehens und optischen Effekten basierend auf geometrischen Grundformen. Ansporn war ihr, wie den meisten Vertretern und Vertreterinnen der Op-Art, die Idee einer objektiven und unmittelbar zugänglichen Kunst. Für Apollonio waren dabei offenbar nicht nur mathematische Prinzipien, sondern auch die Analyse fernöstlicher Symbolsprache, etwa das Yin-Yang-Symbol, Quelle der Inspiration.
Die Kreisform stand von Anfang an im Zentrum ihres Schaffens. Auf schwarzem Grund erprobte sie ab 1964 das illusionistische Potenzial von konzentrisch oder exzentrisch angeordneten, schwarz-weissen Kreisstrukturen. Oft malte oder druckte sie diese auf Platten, die manuell in Drehung versetzt werden konnten, um so den optisch erzeugten Bewegungs- oder Flimmereffekt durch die physische Rotation noch zu steigern. Die Arbeit im Besitz des Museum Haus Konstruktiv ist ein Beispiel aus dieser zentralen Werkphase der Künstlerin.
Schon um 1966 entstanden ähnliche Bildanlagen mit teils fluoreszierenden Farben in chromatisch graduellen Abstufungen sowie kinetische Stahlplastiken. Ab Anfang der 1970er-Jahre experimentierte Apollonio auf monochrom weissen Platten auch mit kreisförmigen Reliefs, deren Kanten ebenfalls fluoreszierend bemalt waren und so Farbreflexe auf dem weissen Grund erzeugten. Bevor es dann ruhiger wurde um die Künstlerin, spielten horizontale und vertikale Linienstrukturen kurzzeitig eine Rolle in ihrem Werk. Doch letztlich ist sie ihrem charakteristischen Bildtypus, den schwarz-weissen Kreiskompositionen, die heute oft mechanisch angetrieben werden, treu geblieben. Viel Aufmerksamkeit wurde Apollonio jüngst in grossen Retrospektiven zur Op-Art-Bewegung zuteil, etwa 2007 in der Schirn Kunsthalle Frankfurt oder 2016 im Museo del Barrio in New York, wo sie schwindelerregende betretbare Bodenarbeiten von 1966/67 rekonstruierte.
Deborah Keller