Rita Ernst

Rita Ernst (1956, Windisch, CH) komponiert, wenn sie malt. Als Noten verwendet sie Farben, während geometrische Strukturen den Rhythmus angeben, der die – anfänglich der konstruktiven Kunst verbundenen – Bilder zum Schwingen bringen. Obwohl das Werk von Rita Ernst in engem Zusammenhang mit der ersten Generation der Zürcher Konkreten steht, fühlt sie sich keinem Dogma verpflichtet; vielmehr hat sie sich immer mehr Freiheiten genommen und ihr System aus elementaren Bildmitteln stetig ausgedehnt. So sind die Farben, seit sie Sizilien als Zweitwohnsitz auserkoren hat, heller und mediterraner geworden. Zu Beginn ihrer künstlerischen Tätigkeit sammelte sie Bausteine zu ihren Arbeiten, die sie in Formenkatalogen – auf Millimeterpapier und auf Basis des geviertelten Quadrats – anlegte. Damit erprobte sie additive Strategien, Überlagerungen und kombinatorische Konstellationen.
Mit dem grossen «Progetto Siciliano» (1997) ersetzen die Grundrisse alter sizilianischer Kirchen, Schlösser und Paradiesgärten das Raster des Millimeterpapiers. Die klassischen Grundrisse sowie die später verwendeten Muster historischer Bodenkacheln bilden seither den Ausgangspunkt der Bilder, und sie sind für die Künstlerin auch als Palimpseste interessant für das Verständnis der tiefer liegenden Strukturen von Sizilien als einem Schmelztiegel europäischer Kulturgeschichte.
Die Künstlerin findet in den Grundrissen architektonische und geometrische Regeln, die sie spielerisch wieder bricht. Mal holt sie nur die Fensterauslassungen der Mauern heraus, dann wieder die Räume selbst als Flächen oder Umrisse. Übrig bleiben grafische Zeichen, Rechtecke, Kreise und Konturen, die kaum mehr an den Ursprung erinnern und die typische Ästhetik von Rita Ernsts Bildern ausmachen.
In dem in der Sammlung des Museum Haus Konstruktiv befindlichen Werk aus dem schwarz-weissen Zyklus «Cristallina I–V» (2007) sind die als Vorlagen verwendeten Grundrisse historischer Castelli nur noch vage zu erahnen. Mit der spielerischen Setzung von Farbfeldern schafft Rita Ernst ein anregendes Kräftespiel zwischen Positiv- und Negativformen, Zeichen und Bezeichnetem, Zufall und Ordnungsstrukturen. Die im Muster aus rhythmisch disponierten Horizontal- und Vertikalbalken aufleuchtenden weissen Felder evozieren einen mehrschichtigen Bildraum und erzeugen ein spannendes Spiel von Figur und Grund.

Dominique von Burg
Werke von Rita Ernst