Obwohl Rudolf Hurni (1914, Studen, CH – 2003, Bern, CH) schon früh den Drang verspürte, Kunst zu schaffen, gelangte er infolge seiner Arbeit als Gebrauchsgrafiker und Schriftenmaler erst spät zur freien Kunst. Anfänglich schuf er Atelierinterieurs, stimmungsvolle Städte- und Hafenbilder und vor allem Stillleben in klassischer, fast altmeisterlicher Manier. Ungemein inspirierend war für den 50-Jährigen die Begegnung mit Giorgio Morandi. Hurni konzentrierte sich von nun an auf Früchtestillleben und, seltener, auf Frauenfiguren, die in pastoser Öltechnik und deutlich abstrahiert als Form-Farb-Gefüge gemalt sind. Nach und nach ging der Künstler dazu über, die Plastizität der Früchte zurückzunehmen, sie zu vergeistigen, indem er ihre räumliche Umgebung zunehmend verflüchtigte, einen Tisch etwa als monochrome Fläche wiedergab und den Raum nur noch durch eine leicht gebogene Linie andeutete. In manchen Stilleben fehlt jede perspektivische Angabe, und ein von einem durchgehenden Farbton erzeugtes Fluidum erfüllt den Bildraum. Je stärker die räumlich-plastischen Elemente zurücktreten, desto mehr geraten die Früchte und Gefässe in einen eigenartig schwebenden Zustand.
Nach einer krankheitsbedingten Arbeitsunterbrechung löste sich der bald 70-jährige Künstler von der Figuration und wechselte ebenso überraschend wie konsequent ins Lager der Zürcher Schule der Konkreten. Im Zentrum seiner Experimente standen nun rein geometrische Formfindungen, die ihm als Austragungsort für seine Farbkompositionen dienten. Hurni übersetzte seine inneren Stimmungen in eine sehr emotionale zarte, dünnschichtige Acrylmalerei. Er mischte warme oder kalte Farbtöne, pastellfarbene oder schreiende, die jedoch subtil aufeinander abgestimmt sind, werden doch die intensiven Farben in quadratischen, rechteckigen und streifenförmigen Sequenzen einander gegenübergestellt. Oft durchkreuzen und überlappen sie sich, suchen sich zu verbinden oder stossen einander ab, etwa wenn Lila auf Senfgelb oder auf Hellgrün trifft.
In einem Interview («Zürcher Unterländer», 22. Februar 1992) äusserte Rudolf Hurni, dass konstruktive Kunst, «nicht Abbild unserer Umwelt ist, sondern Umsetzung innerer Bilder. Dies sind Eigenschaften, die der moderne Mensch sucht.»
Dominique von Burg